Textproben

 

 

Auszeit

 

Roter Mohn am Ackerrain,

weiße Margeritenwiesen,

gegenüber Weizenfelder -

blond mit kornblumblauen Strähnchen.

 

Birken-, Eichen-, Lindenzweige

wiegen sich im Juniwind,

Espen zittern, Pappeln rauschen,

Tannen stehen schwarz und - schweigen.

 

Störche klappern, Frösche quaken,

Lerchen steigen jubelnd auf,

Bienen summen, Hummeln brummen,

Schmetterlinge flügeln lautlos.

 

Fast vergaß ich, wie verletzlich,

wie bedroht ist, was ich sah.

Morgen aber heißt es wieder

statt zu träumen, wach sein, handeln -

 

damit lebenswert die Erde

bleibe oder wieder werde.

 

Aus: Rosentrost

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Deutschland 75 Jahre danach

 

Nichts gelernt aus der Geschichte!

Hakenkreuze an der Wand

und NS Parolen nicht mehr

hinter vorgehaltener Hand.

 

Man wird doch noch sagen dürfen,

heißt es hier und da und dort.

Auf den Straßen, in den Schulen

wird gemobbt in einem fort.

 

 

Auschwitz 25 Jahre danach

 

Ich habe nicht vergessen

die gebrechliche Frau, die uns führte.

Ich habe nicht vergessen

das Brandzeichen auf ihrem Arm.

 

Ich habe nicht vergessen

die Schuhe, die Haare, die Öfen . . .

Ich habe nicht vergessen

die gebrechliche Frau, die sich bedankte

für unser Interesse.

 

 

Deutschland 75 Jahre danach

 

Der Sohn meiner Nachbarin weint.

Sie haben ihn gestern geschlagen,

weil er eine Kippa trug,

gehöhnt, man werde ihn jagen:

 

"Warte nur balde,

ins Gas!"

 

Das Braun bricht aus den Zweigen.

Ich ließ - auch ich! - es zu.

Dass ich vorzog zu schweigen,

lässt mir heut keine Ruh.

 

Zweiter Preis 2019 im "Goldstaub"-Lyrikwettbewerb der Autorinnenvereinigung e.V.

 

Aus: Rosentrost

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***

 

Mein Traum von einem Baum

 

Manchmal träume ich von einem Baum, der, fest in der Erde wurzelnd, mit seinem Wipfel den Himmel berührt.

 

Der Baum, von dem ich träume, ist alt. Sehr alt, hat er viel gesehen - Jahrhunderte kommen und gehen - und viel, sehr viel erlebt. Seine Rinde hat Runzeln. auf die er stolz ist, und seine Jahresringe schrecken ihn nicht, denn er hat längst aufgehört, sie zu zählen.

 

In jedem Frühling locken seine Blüten Bienen, Schmetterlinge und Schwärmer. Im Sommer gewährt sein grünes Dach aus Zweigen und Blättern Schatten und Schutz Alten und Jungen.

 

Kinder errichten ein Haus im Geflecht seiner Äste, denn ein Kletterbaum ist er. Liebespaare ritzen ihre Namen in seinen Stamm. Und an einem der Äste befestigt der alte Briest eine Schaukel für Effi. Vögel bauen. wie die Kinder, ihre Häuser in ihm und zwitschern in seinen Zweigen.

 

In meinen Träumen ist mein Baum viele Bäume in einem: ist Birke und Buche, Eberesche und Eiche, Ginkgo und Granatapfelbaum, Lärche und Linde, Palme und Pinie, Zypresse und Zeder. 

 

Seine Früchte sind köstlich wie die Feigen der Bibel und die Birnen von Ribbeck.

 

Berauschend das Farbenspiel meines Baumes im Herbst: ein Traum aus purem Gold. "Was bevorzugst du?", fragt er mich. "Gelbgold? Rotgold? Weißgold vielleicht? Dann musst du allerdings warten, bis mich jungfräulicher Schnee wie ein Brautschleier bedeckt . . . "

 

Auch noch abgeholzt, ist mein Traumbaum schön. Und nützlich:

 

als ein Bett,

eine Truhe,

eine Wiege,

ein Schrank  . . .

 

Zum Schluss, ganz zum Schluss, kehrt der Baum, von dem ich träume, als eines Menschen letzte Wohnung in die Erde zurück, in der er einst wurzelte.

 

Aus  Schau auf den Mond und den Wald und die Elbe

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Unter Mirabellenbäumen

 

Unter Mirabellenbäumen

saßen wir in Wien beim Wein.

Sommer war es. Juli. Warm.

Nie vergesse ich die Nacht

unter Mirabellenbäumen.

 

Unter Mirabellenbäumen

rings um uns Gespräche, Lachen.

Wir die aus dem Norden kamen,

lernten dieses Lebensart,

die vom Wein beschwingte, schätzen

unter Mirabellenbäumen.

 

Unter Mirabellenbäumen

kosten wir uns lustverstohlen

Hände, Füße - heimlich, heimlich!

Doch mit weinestrunknen Lippen

küssten wir uns unverfroren

in der warmen Sommernacht

unter Mirabellenbäumen.

 

Aus Rosentrost

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