Herbert Höner

 

Duett am Wolchow
Stationen der Versöhnung
 
Marlies Kalbhenn Verlag
ISBN 978-3-9814018-8-2
 
Unverbindlicher Richtpreis 5 €



Herbert Höner wurde am 13. März 1921 in Schötmar/Lippe geboren. Auf die Tischlerlehre folgte der Arbeitsdienst in Ostwestfalen und Ostpreußen. Danach wurde er Soldat an der Wolchowfront im Belagerungsring um Leningrad bis zu seiner schweren Verwundung im Sommer 1943.

 

Es folgten ein langer Lazarettaufenthalt in Göttingen und der Besuch der Offiziersschule in Dessau-Rosslau. Der junge, inzwischen verheiratete Leutnant, erlebte das Kriegsende in Süddeutschland. Anders als geplant, arbeitete er nicht im erlernten Beruf weiter, sondern wurde Jugendwart in der Evangelischen Kirche, zunächst in seiner Heimatstadt Schötmar. Weitere Stationen in der Jugendarbeit waren der Kirchenkreis Gütersloh und eine hamburgische Kirchengemeinde in Geesthacht/Elbe.


1964 wurde Herbert Höner Gemeindepastor in Münster und 1973 Synodal-Jugendpfarrer des Kirchenkreises Bielefeld. 1995 zog er mit seiner Frau nach Espelkamp, wo er am 13. Juni 2014 starb.


„Duett am Wolchow“ ist ein Auszug aus den Erinnerungen Herbert Höners. Es geht um die Jahre 1942 und 1943, in denen er Soldat an der Wolchowfront war. Außerdem enthält das Buch weitere Texte, die von der lebenslangen Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit des Autors Zeugnis ablegen.


Inhalt

Erinnern hat seine Zeit

1
Kriegslied (Matthias Claudius)
Riga
Irgendwo in Russland (Gertrud Kolmar)
Tschudowo
Ruhe an der Rollbahn
An und auf der Tigoda
Ein Knüppeldamm nach Leningrad
Kirischi
Rocca al Mare
Herbstschlamm
Dezember 1942 (Peter Huchel)
Duett am Wolchow
Die Höhen von Ssinjawino
Der Graben (Kurt Tucholsky)
Verlorener Krieg oder gewonnene Freiheit?
Versöhnung (Rose Ausländer)
Stationen der Versöhnung
Dies ist die Stunde der Väter

2
Milch und Mazzen gratis
Wunsch und Gebet

Gefüllte Zeiten

***

Ein Geschichtsbuch mit großer Intensität!

„Versöhnung und eine Aufarbeitung der Geschehnisse im und nach dem Zweiten Weltkrieg: Seinen Teil hat Herbert Höner dazu beigetragen.“ (Westfalen-Blatt)
  
 
Vergangenheitsbewältigung – ein Muss?
Herbert Höners Antwort ist ein überzeugendes Ja.

 

***


„Herbert Höner schildert in unprätenziöser aber treffsicherer Sprache anschaulich seine Erlebnisse, schreibt dabei Geschichte in Geschichten. So nutzt er sein eigenes Erleben als Projektionsfläche. Bewusst wählt er einzelne Themen aus und setzt so pars pro toto die Marksteine auf seinem Lebensweg als Soldat, die er später als älterer Mann wieder aufsucht. Die Verarbeitung des neu Gesehenen, die dadurch ausgelösten Erinnerungen und Emotionen, hält er in seinen Tagebuchnotizen fest, die den Erzählungen angefügt sind. Dabei vermeidet er sorgfältig, anderen seine Interpretation der Dinge aufzudrängen. In ‚Dies ist die Stunde der Väter‘ einer Ansprache, gehalten in Leningrad im Sommer 1985 auf dem Leningrader Friedhof versichert er: ‚Denn ich als einer aus dieser Vätergeneration kann nicht im Namen aller Väter sprechen. Ich spreche für mich. Doch vielleicht ist dies auch eine Art Stellvertretung für die Väter, die nicht sprechen wollen oder können.‘ Wenn er gegen Schluss dieser Ansprache schreibt: ‚Lasst uns gemeinsam den neuen Weg der Versöhnung mit der Sowjetunion gehen. Dieser Weg zum Frieden ist schwer genug‘– wird klar, wie gegenwärtig dieses Buch ist.“ (Ralf Kapries, Neue Westfälische)


Text

Riga


Mitte Januar 1942 mussten wir unsere Pionierkaserne in Königsberg verlassen und in die dortige Artilleriekaserne umziehen. Hier wurden wir für den „Eisenbahn-Marsch“ gen Osten zusammengefasst und vorbereitet. – Nach mehrtägiger Fahrt erreichten wir Riga, wo unser Güterzug vor der Bahnhofshalle anhielt. Es war uns erlaubt auszusteigen, wir hatten aber strengen Befehl, in der Nähe des Zuges zu bleiben.
Es war um die Mittagszeit, als uns eine Marschkolonne entgegenkam. An der Spitze gingen vier oder fünf Soldaten, die ihre Gewehre auf der Hüfte, also schussbereit trugen. Ob es sich um SS- oder Wehrmachtangehörige handelte, habe ich nicht registriert. Meine Aufmerksamkeit galt der von ihnen angeführten Kolonne. Es waren keine russischen Kriegsgefangenen, sondern Menschen in der gestreiften Kleidung der Konzentrationslager. Männer und Frauen, alte und junge. Sie hatten Schaufeln, Kreuzhacken, Besen, Stangen mit schmalen Metallschiebern geschultert, offensichtlich wurden sie zur Schnee- und Eisbeseitigung in den Gleisanlagen eingesetzt. Mit zerfetzten Schuhen oder nur mit Lumpen umwickelten Füßen schlurften sie durch den Schnee.
Ich sah die auf ihre Zebrakleidung aufgenähten gelben Davidsterne mit der Inschrift JUDE – und meine Gedanken gingen, wenn auch nur für Augenblicke, nach Hause zu meinen jüdischen Freunden und Nachbarn. Dann waren sie auch schon vorbei, und ich sah ihnen nach. Den Schluss des Zuges bildeten wieder Soldaten mit schussbereiten Gewehren.
Unserem Eisenbahnzug gegenüber, jenseits der verschneiten Straße, lag ein Wäldchen. Unter den Bäumen waren Kreuze zu erkennen. Mit einigen Kameraden ging ich hinüber, schließlich hatten wir von dort aus auch Sicht- und Hörverbindung zum Zug und zum Bahngelände. Nach ein paar Schritten entdeckten wir einen Hügel aus Erdbrocken. Es war der Aushub einer quadratischen Grube, und die war ein Grab! Übereinander geschichtet und notdürftig mit Planen bedeckt lagen die Soldaten, die dort „bestattet“ waren. Wir sahen unverhüllt gebliebene uniformierte Arme mit bleichen, steif verkrampften Händen und Fingern, Teile von Gesichtern, eine Stirn mit einem Einschuss, Füße, denen man die Stiefel ausgezogen hatte.
Während wir noch sprachlos in diese Totengrube starrten, kam ein kleiner Wehrmachts-LKW gefahren und hielt neben der Grube an. Ein Unteroffizier und zwei Gefreite stiegen aus.
„Na, ihr habt wohl noch keine Toten gesehen? Seid ihr neu?“
„Ja, wir gehören zum Transportzug da drüben“, sagte ich.
„Aha! Dann schaut sie euch richtig an, damit ihr Bescheid wisst. Die hier“, er öffnete die hintere Klappe „sind auch erst vor etwa einer Woche hier angekommen.“
Zu dritt zogen sie einen Toten nach dem anderen heraus, alle steif gefroren und an der Farbe der Paspelierung ihrer Uniformen als Panzerjäger zu erkennen.
„Die meisten haben Kopfschüsse.“
Da schrillte eine Trillerpfeife und eine Kommandostimme rief: „Marschbataillon Königsberg – sammeln!“
„Na, dann macht’s gut“, sagte einer der beiden Gefreiten des Gräberkommandos.
„Und zieht den Kopf ein“, rief der Unteroffizier noch hinter uns her, denn wir waren schon losgerannt, sprangen über die Straße und sammelten uns beim Zug.
Nicht weit vom Stadtzentrum zogen wir in eine geräumte Schule. Das Strohquartier in den hellen, geheizten Räumen erschien uns, gemessen an unserem Güterwaggon, geradezu feudal.
Am Abend saßen wir im Rigaer Theaterrestaurant. Wir tranken, rauchten und redeten. Neu war das alles für uns und fremd. Und keiner sprach über den Zug der Juden, die durch den Schnee an uns vorbeigeschlurft waren, und auch nicht von den ersten Toten, in deren wächserne Gesichter wir geschaut hatten.

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Marlies Kalbhenn Verlag
Wilhelm-Kern-Platz 4, 32339 Espelkamp

 

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